Weichmacher - die Mutter alles Bösen

  • Hallo in die Runde,

    wir hatten ja erst vor einigen Tagen hier im Forum wieder das Thema Weichmacher, als es darum ging, warum gummierte Oberflächen klebrig werden.
    Und ich werde auch im privaten Umfeld immer wieder mit Weichmachern als Mutter aller Kunststoffprobleme konfrontiert:
    - Ein Plastikhebel bricht ab... "die Weichmacher sind raus!".
    - Ein Griff wird klebrig... "die Weichmacher diffundieren nach außen!".
    - Oma hat Durchfall... "zu viele Weichmacher in der Schnabeltasse!".

    Auch die Medien stürzen sich mit Vorliebe auf diese für Laien leicht verständliche Schuldzuweisung.

    Aber nach allem, was ich verstehe und bisher recherchiert habe, sind doch 99% der bösen Weichmacher (Phthalate) in PVC enthalten.
    Dementsprechend sollten spritzgegossene Produkte davon kaum betroffen sein. Oder verstehe ich da was falsch?
    Wenn da was bricht oder klebrig wird, waren es also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht "die Weichmacher", sondern eher Fehlkonstruktionen oder Zersetzungsprozesse durch UV, Temperatur, Handschweiß etc...

    Vielleicht haben wir ja einen Werkstoffexperten hier im Forum, um das mal aufzuklären.
    Oder jemand findet eine gut recherchierte Quelle (bitte keine Reportagen der Öffentlich-Rechtlichen).
    Ich würde die in meinem Umfeld kursierenden Halbwahrheiten gerne kompetent beantworten. :winking_face:

  • Naja, das ist nicht ganz richtig.


    Der meistgebräuchliche Weichmacher ist nach wie vor Diethylhexylphthalat oder auch DEHP. Dieser wurde als bedenklich eingestuft und kann zum Beispiel die Fruchtbarkeit schädigen. Dieser Weichmacher kann bei allen Elastomeren Bestandteil sein, nicht nur in PVC. Im europäischen Raum wird mittlerweile weitgehend darauf verzichtet.

    Alternativen dafür sind zum Beispiel Mesamoll oder Hexamoll. Beide sind als unbedenklich eingestuft. Bei einem namhaften TPE Hersteller, bei dem ich war, werden auch zum Großteil diese eingesetzt.

    Warum dann ein Kunststoffteil bricht oder seine Eigenschaften ändert kann, wie du schon richtig angemerkt hast, so viele Gründe haben. Die Weichmacher sind mittlerweile eigentlich relativ stabil und diffundieren nur noch selten aus.

    Aus diesem Gründen gibt es in der Automobilindustrie ja auch so viele Tests wie Hydrolyse, Sonneneinstrahlung, Cremé, Abriebfestigkeit usw...

  • Danke für deine Antwort.
    Kann man dann zusammenfassend sagen, dass Weichmacher grundsätzlich
    - nur für wirklich elastische Bauteile/Bauteilkomponenten (vgl. TPEs, PVC, ...) relevant sind, nicht aber bei Bauteilen aus technischen oder Hochtemperatur-Thermoplasten, wie PA, PBT, PPS, etc.?
    - in der EU nur noch unkritische Weichmacher eingesetzt werden, bzw. durch innere Weichmachung (Copolymerisation, Teil des Makromoleküls) ersetzt wurden?

    Nicht falsch verstehen, ich will die Problematik auch nicht kleinreden, aber ich arbeite schon länger im Spritzgussbereich (Medizintechnik, Automobil, Spielzeug) und hatte noch nie bewusst mit Weichmachern zu tun. Deswegen eben meine Annahme, dass Weichmacher wesentlich seltener Anwendung finden, als sie zum Sündenbock für andere Probleme gemacht werden.

  • Zum Punkt 1:

    Nein! Weichmacher sind nicht nur in elastischen Bauteilen vorhanden. Hier kommt es ganz darauf an welche Eigenschaften der Kunststoff haben soll.

    Zum Punkt 2:

    In der EU regelt das die EU-Chemikalienverordnung (REACH). Das heißt nicht, dass es in der EU keine Produkte mit bedenklichen Weichmachern gibt. Diese müssen jedoch vorher ein Genehmigungsverfahren durchlaufen haben. In Babyartikeln und Spielzeugen sind sie in einer Bestimmten Konzentration generell verboten.

    Hier ist auch ein interessanter Artikel darüber.

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  • Zu den Weichmachern kann ich nicht viel sagen, aber zum Versagen der Bauteile.

    Es darf nicht vergessen werden, dass Kunststoffe auch ohne Weichmacher altern. Wird Kunststoff lange der UV-Strahlung ausgesetzt, wird er spröde und weniger belastungsfähig. So können solche Bauteile dann scheinbar schnell versagen, wenn die UV-Strahlung zu lange wirken konnte. Unglücklicherweise wirkt die höchste Spannung auch immer an der Außenfläche, die geschwächt sein kann. Greift man dann mal zu, braucht es wesentlich weniger Kraft, damit das Bauteil bricht.
    Anderes Thema, was gerne vergessen wird, ist die zulässige Dauerbelastung. Jedes Bauteil, aus egal welchem Material, wird über die Zeit Risse entwickeln, wenn die Belastung stimmt. Diese Risse wachsen langsam oder schnell und schwächen die Oberfläche ebenfalls. So gibt es die Thematik mit den Scharnieren bei Klappdeckel, die irgendwann versagen. Mit jeder Betätigung wird Spannung induziert und durch die vergleichsweise hohe Dehnung auch Risse. Irgendwann reißt das Scharnier. Ganz ohne Weichmacher oder UV-Strahlung.

    Solch pauschale Aussagen trifft man gerne dann, wenn man sich mit der Thematik nicht beschäftigt. Es muss schon mehr betrachtet werden als nur die Weichmacher, wenn ein Bauteil versagt.

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