Statistische Versuchsplanung (DoE) im Spritzgussprozess - Erfahrungen und Meinungen?

  • Hallo zusammen,

    ich hoffe, es geht euch gut!

    In letzter Zeit habe ich mich mit dem Thema "Statistische Versuchsplanung" (DoE) im Spritzgussprozess beschäftigt und wollte gerne eure Meinungen und Erfahrungen dazu hören, da ich auf gespaltene Meinungen hierzu gestoßen bin.

    Ich persönlich finde die DoE ist ein interessantes Werkzeug, um den Prozess zu finden/ zu optimieren und mein Prozessfenster zu kennen, um damit dann die optimale Einstellung zu finden.

    Ich glaube aber, dass dieses Vorgehen nicht allzu verbreitet ist in den Spritzgussbetrieben, daher möchte ich gerne wissen, wie ihr heutzutage dazu steht.

    Es gibt ja bereits Beiträge hier, in welchen eine DoE angewandt wurde, gerade zum Troubleshooting.

    Habt ihr bereits Erfahrungen mit DoE im Spritzgussprozess gemacht?

    Wenn ja, welche Art von Ergebnissen habt ihr erzielt? Welcher Nutzen war für euch besonders relevant?

    Denkt ihr, dass DoE im Spritzgussprozess (Mittels Software) ein hilfreiches Werkzeug sein kann, wenn es richtig angewendet wird?

    Ich bin gespannt auf eure Gedanken und Erfahrungen zu diesem Thema.

    :thumbs_down: :question_mark: :thumbs_up: :question_mark:

  • Hallo!

    Ich habe DOE's mehrmals durchgeführt. Meistens jedoch auf drängen eines Projektleiters oder ähnlichen. Also oft von Personen die keinen großen Hintergrund vom Spritzgussprozess haben aber eben Theoretiker sind wenn ich das so ausdrücken darf.

    Meiner Meinung nach ist eine DOE nicht zwingend nötig. Ein Erfahrener Techniker an der Maschine kennt seinen Prozess und weiß wie das Kunststoffteil reagiert. Wenn man eine DOE benötigt um ein Prozessfenster zu ermitteln liegt das Problem meist nicht am Prozess selbst.

    Ich für meinen Teil bin also kein Freund von DOE's. Wenn ich Probleme an einem Teil habe, dann weiß ich an welchen Stellschrauben ich drehen muss und was dabei passieren sollte. Eine DOE bestätigt das meist nur.

    Grüße Maj

  • Grundsätzlich kann ich da Majestic nur zustimmen - auch ich halte DOEs beim Spritzguss für vergebliche Müh und in keinster Weise zielführend!

    Wenn ein laufender Spritzprozess zu Qualitätsfehlern führt, dann kann der Grund dafür vielfältig sein. Und dieses ist für jedes Produkt individuell in der Parameterkombination unterschiedlich.

    Zudem muss auch verstanden werden, dass *Ursache* (Prozessparameter) und *Wirkung* (Ausformprozess in der Kavität) zwei völlig unterschiedliche Welten sind, aber die Stellschrauben befinden sich nur bei der *Ursache*, sollen aber bei der *Wirkung* Veränderung erzeugen.

    Wer den Spritzguss physikalisch in seiner Logik versteht/fühlt(!) kann sich in der Regel Qualitätsprobleme bei der *Wirkung* über die *plastische Seele* (zwischen Schneckenspitze und Fließfront) leichter erklären und dementsprechend auf die *Ursache* einwirken.

    Wenn ich Probleme an einem Teil habe, dann weiß ich an welchen Stellschrauben ich drehen muss und was dabei passieren sollte.

    Naja, da lass mal "Butter bei de Fische" ... Auch Du wirst in so manchen Fällen eine Weile brauchen (basteln), um die richtige Stellschraube zu finden(?). Und wer die Prozesse nicht sauber visualisiert (mit Kurven- und Trendgrafik), der hat zwar ein Problem beseitigt, weiß aber nicht, was a) sich geändert hat und b) was es bewirkt hat.

  • Ich finde die Anwendung von DoEs in der Bemusterungsphase von Neuwerkzeugen durchaus sinnvoll.

    Wenn beispielsweise der Einfluss von zentralen Parametern (z.B. Nachdruckhöhe, Massetemperatur, Werkzeugtemperatur etc.) auf gewisse Maße oder Verzug untersucht werden soll, bieten DoEs ein strukturiertes Vorgehensmodell.

    Durch die Visualisierung der Einflussmatrizen kann dann allen Beteiligten und Außenstehenden aufgezeigt werden, inwiefern z.B. Maße durch den Prozess (innerhalb sinnvoller Prozessgrenzen) beeinflusst werden können, und wann ggf. eine Werkzeugänderung eine bessere Lösung darstellt.

    Auch kann man sehen in welche Richtung eine Parameteränderung wirkt.

    Einfaches Beispiel: höhere Nachdruckhöhe -> z.B. Längenmaß größer, wg. geringerer Schwindung

    Es gibt aber auch immer wieder Fälle im Spritzguss, wo der ein oder andere Effekt auftritt der auch einen erfahrenen Spritzgießer überrascht. Solche Fälle können dann mittels einer DoE auffallen und dargestellt werden.

    Bei Qualitätsproblemen in einem laufenden Serienprozess stimme ich den Kollegen allerdings zu, dass zunächst ein erfahrener Einrichter das Problem analysieren und entsprechend seiner Erfahrungen den Prozess optimieren sollte.

  • Hallo zusammen,

    und danke fürs Feedback und eure interessanten Sichtweisen.

    Ich sehe mich hier auch überwiegend auf der "pro" Position.

    Wenn ich von Anfang an mit einer DoE ein großes Prozessfenster / Prozessraum erzeugen kann und damit einen stabilen Serienprozess erzeuge, wo ich auch noch die Zusamenhänge erklären kann, spare ich im Lebenszyklus des Artikels/Werkzeugs einiges an Kosten und muss keine zwingend teure Werkzeugtechnik einsetzen, um meinen Prozess zu überwachen, da er böse gesagt auf "Messers Schneide" läuft. (Natürlich gibt es Produkte, wo Sensoren zwingend notwendig sind, aber selbst diese Daten könnte ich in meine DoE einbezihen)

    Natürlich ist es wichtig die Erfahrung im Haus zu haben, um schnell in den Prozess einzugreifen, aber eigentlich ist es oft (wie schon oben gesagt) ein Herumprobieren bis die Einstellung passt, ohne eine wirklich genaue Erklärung zu haben. Zudem ist es nicht förderlich für ein Unternehmen, wenn jeder nach seiner eigenen Erfahrung und Meinung bemustert.

    Ich erinnere mich, als meine Kollegen eigene Disketten hatten und zum Start der Schicht das eigene Programm eingeladen wurde :grinning_squinting_face:

    Ich denke und hoffe, dass ich mit einer DoE eine einheitliche Prozessfindung erzeugen kann und sehr viel mehr über das Prozessfenster / den Prozessraum meines Werkzeugs erfahre. Es kann zusätzlich der Produktion helfen sich zu erklären, dass es keine mögliche Prozesseinstellung gibt und somit eine Werkzeugkorrektur unumgänglich ist, aber anschließend nach Korrektur ein stabiler Prozess gefunden werden kann.

    Gerade bei Qualitätsprobleme, welche schwierig auszumachen sind, finde ich die strukturierte Herangehensweise ebenfalls sehr Sinnvoll.

    Über weitere Erfahrungen werde ich gerne berichten.

  • Grundsätzlich ist eine sauber Dokumentation während einer Bemusterung nicht falsch und kann evntuell einen Hinweis darauf geben wo zu suchen ist bzw. was bereits versucht wurde und was nicht. Das ist die positve Seite.
    Es bedarf allerdings einer großen Erfahrung zu wissen was passiert wenn ein Parameter verändert wird, bzw. welche andere Parameter dadurch mitbeeinflusst werden können. Wenn ich beisspielsweise meine Einspritzgeschwindigkeit ändere habe ich je nach Maschinentyp (hydraulisch/elekrisch) eine Änderung an des/den Umschaltpunkt/en, bringe ggf. durch eine höhere Friktion mehr Temperatur in die Schmelze, und und und. Diese Zusammenspiele zu wissen und zu erkennen nennt man Erfahrung. Aber selbst mit viel Erfahrung erlebt man immer wieder neue Herausforderungen.

    Und ganz wichtig ... wer viel weiß findet viele mögliche Fehlerquellen :winking_face:

  • Bei Qualitätsproblemen in einem laufenden Serienprozess stimme ich den Kollegen allerdings zu, dass zunächst ein erfahrener Einrichter das Problem analysieren und entsprechend seiner Erfahrungen den Prozess optimieren sollte.

    Diese Aussage bestätigt ja die vorherigen Beiträge.

    Das gewisse (Maschinen-) Parameter beim Erstellen des Masterprozesses (Musterung) verändert werden, um ein Teil in die gewünschte Geometrie zu bringen ist die eigentliche Routine-Tätigkeit eines jeden Musterers. Die Wirkung (am Formteil) von Parameteränderungen (an der Maschine) zu kennen, wird beim Musterer vorausgesetzt - siehe Beitrag von Majestic .

    Es gibt aber auch immer wieder Fälle im Spritzguss, wo der ein oder andere Effekt auftritt der auch einen erfahrenen Spritzgießer überrascht. Solche Fälle können dann mittels einer DoE auffallen und dargestellt werden.

    Hierfür gibt es seit vielen Jahren Technik (Diagramme) in der Maschinensteuerung, mit der über den gesamten Prozessverlauf relevante Parameter aufgezeichnet werden - die **Kurvengrafik** und zur Trendbetrachtung der Fix-Parameter die **Trendgrafik**. Masterkurven visualisieren jede Veränderung und machen den Prozess erst reproduzierbar und auch überwachbar.

    Da Spritzguss = *Druck und Temperatur*, verbleibt nur noch das Thema *Temperatureinfluß auf die Teilequalität*. Auch dafür steht seit langen Jahren Technik zur Verfügung, die Wärmebildkamera, bzw. wenn Inline-Aufzeichnung (Überwachung) erfolgen soll, kann dieses auch mit Infrarot-Sensoren geschehen.

    Fazit: Wer verfügbare Technik einsetzt (macht Null-Fehler-Produktion möglich) braucht den Aufwand (Kosten) für eine DoE nicht.

    Einfaches Beispiel: höhere Nachdruckhöhe -> z.B. Längenmaß größer, wg. geringerer Schwindung

    Dieses wäre ein Fehler, da der Nachdruck NUR für den Ausgleich der Volumenschwindung nach Füllen genutzt werden sollte!

    Maße entstehen durch die Werkzeuggeometrie und nicht durch "Hindrücken mit Nachdruck".

    Die Verdichtungserhöhung durch Nachdruck erzeugt

    a) hohen Werkzeugstress durch Überladung,

    b) höhere *Druckspannungen* im Formteil,

    c) höheren Energieverbrauch.

    Immer berücksichtigen, dass die wirkende *Druckenergie in der Kavität* einer Schwankung unterliegt, weil sich das **Druckgefälle zwischen der Schneckenspitze und der Fließfront** durch Viskositätsschwankungen ständig verändert!

    Dieses verstärkt sich durch Verarbeitung von Rezyklaten noch einmal mehr - einziges Gegenmittel: Mit WID-Regelung das Volumen in der Kavität optimal bestimmen und stabil halten.

    Edited once, last by Behrens (November 3, 2023 at 11:23 AM).

  • Ich bin natürlich ebenfalls fan von einem so schön überwachten und stabilen Prozess.

    Aber ist es hier nicht so, dass ich nun nur einer Prozesseinstellung folge und alles abweichende wird für mich als n.i.O. bezeichnet?

    Somit kenne ich mein Prozessfenster trotzdem nicht und verzichte evtl. auf meinen Spielraum. (jeh nachdem wie der Prozess nun vorab gefunden und definiert wurde)

    Es gibt definitiv Artikel, die eine solche Überwachung benötigen, aber die Kosten für diese Überwachung sind in meinen Augen höher, als die bisherigen Kosten, die ich mit einer DoE erzeugen würde.

    Mein Ziel ist es ein kostengünstiges Werkzeug ohne zusätzliche Sensoren zu erzeugen und trotzdem eine stabile Produktion zu gewährleisten.

  • Mein Ziel ist es ein kostengünstiges Werkzeug ohne zusätzliche Sensoren zu erzeugen und trotzdem eine stabile Produktion zu gewährleisten.

    WID Sensoren, Temperatursensoren o.ä. sind jetzt in der Werkzeugentstehung nicht so sehr teuer in den meisten Fällen.

    Und insofern man einigermaßen aktuelle Maschinen hat, können die damit auch etwas anfangen.

    Ich sehe das Thema "Prozessfenster" aufgrund von DoE etwas kritisch. Bei manchen Prozesskonstellationen ist es ein extrem scharfer Grat der funktioniert und alles andere funktioniert nicht. Dabei werden die einflussnehmenden Quellen gefühlt exponentiell mehr.

    Beispiel. Spritzguss-Lackieren-Datamatrix Code lasern. Alles in einem verketteten Prozess. Hier hat man extrem viel getestet (auch mit DoE und entsprechender Software). Der Prozess ist letztendlich "hingefummelt" worden, da sogar die Entformtemperatur erheblichen Einfluss auf die Qualität der Lackierung hatte (Kühlstrecke für Formteil implementiert, um Maschinengeschwindigkeit nicht drosseln zu müssen).

    Worauf ich hinaus möchte. Je mehr Parameter ich in ein DoE hineinpacke, desto umfangreicher wird das ganze. Und ob das Ergebnis vom DoE aus einer Software dann zwar theoretisch ideal ist, aber praktisch trotzdem nicht funktioniert, steht auf einem anderen Papier.

    Insgesamt muss man jedes Tool und jede Technik da anwenden wo es sinnvoll ist. Und wenn der Mustermann entsprechendes Know-How und Vorgehen für die Bemusterungen hat, sind die Programme auch entsprechend einheitlich. Wenn man dann Technik wie von Behrens beschrieben verwendet. Ist ein DoE meistens obsolet.

    Vorallem kostet eine richtige DoE (Statistik) Software ein ordentliches Sümmchen.

    Grüße

    DerK

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